Ästhetik im zahnmedizinischen Kontext
Welche Rolle spielt Ästhetik in der Zahnmedizin?
16. April 2020
Form folgt Funktion
Der Grundsatz, dass Form auf Funktion folgt, bedeutet, dass die Gestalt eines Körpers bzw. eines Organs sich der Funktionalität unterwirft.
Eindrucksvoll kann in der Tierwelt demonstriert werden, wie diese Anpassungen funktionieren. Funktionalität gepaart mit höchster Ästhetik ist keine Gegensätzlichkeit, sondern eine Erfolgsgeschichte [1].
Vögel – Ästhetik und Funktion des Federkleids
Die Vielfalt des Federkleids von Vögeln kann als Beispiel herangezogen werden. Hier sind Form und Funktion miteinander verbunden, um die bestmögliche Lösung für dieses spezielle Individuum zu gewährleisten. So haben die Männchen oft ein buntes Federkleid, um von Weibchen wahrgenommen zu werden und Weibchen eher ein unauffälliges, um bei der Brut nicht aufzufallen, und sie so schützt. Gleichzeitig dienen beide Federkleider für Flugfähigkeit, das schnelle Trocknen des Gefieders und der Wärmeschutz für das Überleben.
Was bedeutet Ästhetik nun für den modernen Menschen?
In der Mensch-Produkt-Interaktion wird der Form-Funktion-Grundsatz modernisiert fortgesetzt: Die wahrgenommene Funktionalität des Produktes setzt sich mit dem emotionalen Erlebnis und dem ästhetischen Empfinden zum gesamten Produkterlebnis zusammen [2].
Welche Rolle spielt Ästhetik in der Zahnmedizin?
In der Zahnmedizin wird seit langem eine kontroversielle und durchaus hitzige Debatte geführt:
Ästhetik versus Funktion?
Ästhetik oder Funktion?
Den Funktionen des Kauorgans werden das Erscheinen des Gesichts, der Zähne, der Lippen, des Lächelns, des Gesichtsausdrucks inklusive der Mimik gegenübergestellt.
Ist dies nachvollziehbar? Ergibt diese Abgrenzung überhaupt Sinn? Oder wird diese Diskussion hinfällig, wenn das ästhetische Erscheinungsbild als Funktion des Kauorgans betrachtet wird?
Funktion ist nicht alles, aber ohne Funktion ist alles nichts
Mit dieser Analogie wird deutlich, dass es bei therapeutisch-ästhetischen Maßnahmen sehr wohl eine Abgrenzung gegen das Zuviel geben kann. Auch, wenn die Wahrnehmung von Ästhetischem, immer subjektiv ist und sein wird. Wenn die erforderliche Funktionalität deutlich überschritten wird, dann wird auch eine vermeintlich ästhetische, zahnärztliche Maßnahme „ein Zuviel“ an weißen Zähnen oder „ein Zuviel“ an Lippenrot sein [3]. Jedoch ist jedes Erscheinungsbild abhängig von der Wahrnehmung des Gegenübers.
Dazu gibt es eine Fülle von Forschungsprojekten. Unter anderem sind Symmetrie, Textur, Proportion, Bewegung und Geruch Faktoren, mit denen sich ein Schönheitsbegriff festlegen lässt. Werden Probanden gefragt, was aus ihrer Sicht ein attraktives Gesicht ausmacht, dann werden Stabilität, Sexualität und Ernährung genannt. Also ist aus Sicht der Betrachterin/des Betrachters Attraktivität subjektiv sehr wohl mit relevanten biologischen Informationen über die Betrachteten verknüpft [4].
Der Mensch als Einheit
Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, betrifft das Zusammenspiel zwischen Gesichtsausdruck und Körperhaltung. Kann der Mensch diese beiden Komponenten der nonverbalen Kommunikation überhaupt trennen? Nachdem sowohl die Mimik als auch die Körperhaltung von Gefühlen, inneren Lasten, Hoffnung und Emotionen gelenkt werden, so ist tatsächlich eine Trennung nur sehr schwer möglich. Ein gezwungenes Lächeln kann die Anspannung des Körpers nur sehr mangelhaft kaschieren. Der Mensch ist eine Einheit, die aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt ist. Die Harmonie dieser Elemente ist für andere erkennbar und attraktiv. Körperhaltung und Gesichtsausdruck spiegeln das innere Gleichgewicht. Harmonische Farben, Ausgewogenheit der Strukturen, Gleichgewicht der Elemente – die sympathische, attraktive, ästhetische Erscheinung ist die Folge.
1. Darlington, PJ Group selection, altruism, reinforcement, and throwing in human evolution. Proceedings of the National Academy of Sciences 72.9; 3748-3752 (1975)
2. Desmet, PMA and Hekkert, P Framework of product experience. International Journal of Design Vol.1 No.1 200 (2007)
3. Umbricht, R Messerscharfe Schönheit Zur Psychodynamik Schönheitschirurgischer Eingriffe. Vortrag an der Balint-Tagung Bodensee (2016)
4. Oberzaucher, E und Mühlhauser, A. Evolutionäre Ästhetik. wissen kompakt 7, 3–11 (2013)